Business-on.de: Herr Schumacher, eine Frau aus meinem engen Verwandtenkreis musste sich nach über dreißig Jahren in einer gehobenen Position arbeitssuchend melden. Vom Arbeitsamt wurde ihr ein Vorstellungsgespräch bei einem namhaften Personaldienstleister vermittelt, welches ihr Magenschmerzen verursacht. Was würden Sie ihr raten?
Thorsten Schumacher: Dazu müsste ich wissen, was genau der Bekannten Magenschmerzen verursacht?
Business-on.de: Die Zeitarbeit kämpft seit Beginn mit einem schlechten Ruf. Dumpinglöhne und mangelnder Kündigungsschutz sind nur zwei der vielen Vorurteile, die sich hartnäckig halten.
Thorsten Schumacher: Diesen kann ich entgegnen, dass sich die Branche schon vor einigen Jahren auf einen Mindestlohn geeinigt hat, welcher ab dem 1. Juni 2016 bei neun Euro liegen wird. Das ist höher als der gesetzliche Mindestlohn. In vielen Bereichen liegt der Lohn sogar höher, hinzu kommen die sogenannten Branchenzuschläge und dem von der Bundesregierung allgemein geltenden Equal Pay-Anspruch. Zeitarbeitnehmer nähern sich demnach mehr und mehr dem Lohn der Stammarbeitskräfte an. Bezüglich der Sicherheit des Arbeitsplatzes: Ein Zeitarbeitnehmer hat einen normalen, gesetzlich geregelten Kündigungsschutz, ebenso wie Anspruch auf Urlaubs- und Krankengeld.
Verstecktes Potenzial: „Über die Hälfte der Arbeitnehmer ist wechselwillig“
Business-on.de: Dennoch scheuen sich viele vor einer Anstellung bei einem Personaldienstleister.
Thorsten Schumacher: Weil Personaldienstleistungen meist mit der reinen Zeitarbeit gleichgestellt werden und diese immer noch alleine für die Vermittlung von ungelernten Kräften steht. Dabei kann die Personaldienstleistung beim Sprung aus der Arbeitslosigkeit eine entscheidende Hilfe sein. So geben wir Unterstützung bei der Erstellung der Bewerbungsunterlagen. Das hört sich banal an, ist aber der erste Eindruck, der nicht unterschätzt werden sollte. Viele Bewerber sehen sich nach Jahren in einem Angestelltenverhältnis wieder damit konfrontiert, sich bewerben zu müssen. Mittlerweile sind die Anforderungen an die Erstellung eines Anschreibens sowie an einen Lebenslauf und an gewisse Formulierungen andere als vor zehn Jahren. Dazu kommt der Vorteil des Personaldienstleisters, dass er den Markt und die aktuellen Anforderungen kennt. Wir wissen, welche Qualifikationen wo gebraucht werden und genießen einen Vertrauensvorschuss bei unseren Kunden, die über uns nach Personal suchen. Ohne die Vermittlung über ein Personalbüro hat der Bewerber tatsächlich nur seine Mappe, auf wenigen Seiten muss alles untergebracht sein, was ihn auszeichnet. Leider trifft nicht selten eine fachliche Kompetenz auf eine mangelnde Präsentation. Das können wir ausbügeln, indem wir den Kandidaten anders anpreisen. Wir haben zudem die Kontakte; wir verfügen über ein großes regionales Netzwerk an passenden Stellen. Nicht umsonst kommen auch oft Menschen auf uns zu, die zwar in einem festen Angestelltenverhältnis stehen, aber was Neues suchen oder lediglich wissen wollen, wie ihr Marktwert ist. Über die Hälfte der Arbeitnehmer ist wechselwillig. Dieser Markt ist mindestens so interessant wie die Vermittlung von Arbeitskräften.
Business-on.de: Seit 2011 hingegen stagniert die Zahl der Zeitarbeitskräfte in Deutschland. Die Branche macht mit rund 850.000 Zeitarbeitnehmerinnen und Zeitarbeitnehmern knapp zwei Prozent aller Erwerbstätigen aus. Auch der Anteil der Zeitarbeitunternehmen ist mit 0,2 Prozent aller deutschen Betriebe nur bedingt nennenswert. Lässt sich noch von einem Einfluss auf die deutsche Wirtschaft sprechen?
Thorsten Schumacher: Von der Wirtschaft wird unserer Einfluss positiv aufgefasst. Firmen – egal ob große Konzerne, mittelständische oder kleine Unternehmen – müssen flexibel auf konjunkturelle Schwankungen reagieren können. Zeitarbeit ist daher zu einem unverzichtbaren Instrument der Personalplanung geworden. Das gilt ebenso für den wirtschaftlichen Boom als auch für den Abschwung. Das Problem der Personaldienstleister ist eher das Angebot als die Nachfrage. Es wird immer schwerer, die offenen Stellen mit den entsprechenden Kräften zu besetzen.
„Gleiches Geld für gleiche Arbeit. Ansonsten droht uns eine zwei Klassen Arbeitnehmergesellschaft“
Business-on.de: Sie hatten bereits den Equal Pay-Anspruch angesprochen, der ab dem 1. Januar 2017 den Leiharbeitnehmern nach einer Einarbeitungszeit von neun Monaten den gleichen Lohn wie vergleichbaren Arbeitnehmern des Entleihers zuspricht. Wie stellt sich die Branche auf die Veränderungen ein?
Thorsten Schumacher: Grundsätzlich bin ich der Meinung, dass gleiche Arbeit mit gleichem Geld entlohnt werden sollte. Innerhalb eines Unternehmens eine zwei Klassen Arbeitnehmergesellschaft entstehen zu lassen, halte ich für falsch. Gleiches gilt meiner Meinung nach auch für die Arbeitskleidung; einheitliche Kleidung ist ein Zeichen für Zusammengehörigkeit. Das Erbringen einer vollwertigen Leistung ist nicht möglich, wenn Zeitarbeitnehmer nicht mit den gleichen Rahmenbedingungen im Unternehmen aufgenommen werden.
Dennoch dürfen unseren Kunden, sprich dem Entleiher, nicht sämtliche Risiken bei der Übernahme eines Arbeitnehmers auferlegt werden. Bei der Ermittlung des Equal Pay sollen sämtliche auf den Lohnabrechnungen vergleichbarer Stammarbeitnehmer des Entleihers ausgewiesene Bruttovergütungsbestandteile zugrunde gelegt werden. Auch Sachbezüge in Geld und Vermögenswirksame Leistungen zählen dazu.
Ein Arbeitnehmer, der nach mehreren Jahren der Arbeitslosigkeit über die Zeitarbeit wieder an eine Beschäftigung kommt, braucht eventuell eine längere Einarbeitung, um die gleiche Arbeit wie die Stammarbeitnehmer leisten zu können. Diese pauschal festzusetzen, halte ich für schwierig. Zudem erhält ein Zeitarbeitnehmer bereits durch die in der Branche geltenden Tarifverträge Branchenzuschläge, mit denen peu a peu eine finanzielle Gleichstellung mit der Stammbelegschaft gewährleistet wird. Der neue Gesetzentwurf ist also nicht wirklich neu für unsere Branche. Wichtig ist es vielmehr, dem Arbeitgeber nicht in seiner Flexibilität einzuschränken. Sich passgenau auf Auftragsspritzen und Konjukturschwankungen einzustellen ist für Unternehmen überlebenswichtig – heute mehr denn je.
Business-on.de: Gerade in diesem Zusammenhang wird die Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten branchenintern heiß diskutiert. Viele sehen ihre Gestaltungsmöglichkeiten stark eingeschränkt. Welche Risiken sehen Sie in den neuen Rechtsauflagen?
Thorsten Schumacher: Das Einführen von festen Grenzen für Arbeitseinsätze schränkt die Möglichkeiten der Zeitarbeit enorm ein. In vielen Branchen wird Projektbezogen gearbeitet, so beispielsweise bei Informatikern und Ingenieuren. Bislang hatte das Unternehmen als unser Kunde die Möglichkeit flexibel entsprechend der Projekte und des Auftragsvolumens zu reagieren. Mit dem neuen Gesetzentwurf wird die Höchstüberlassungsdauer von 18 Monaten ist der Einsatz der Zeitarbeitnehmer genau auf diese maximal Obergrenze beschränkt. Auch die Elternzeitvertretungen oder die Überbrückung von Pflegezeiten werden so schwieriger zu füllen sein. Nach 18 Monaten steht der Arbeitgeber vor der Wahl den Arbeitnehmer entweder einzustellen oder sich von ihm zu trennen. Weiß er von vornherein, dass die Einsatzzeit die Höchstüberlassungsdauer überschreitet, wird er sich wohl nach Alternativen umsehen, um den Konflikt zu vermeiden.
„Uns ist es recht, wenn die Arbeiter mehr Lohn erhalten. So vergrößert sich auch unser Umsatz“
Business-on.de: Branchenkritiker behaupten, die Zeitarbeitsbranche hätte ihre Freiheiten ausgenutzt und würde mit den entsprechenden Sanktionen bestraft…
Thorsten Schumacher: Sanktionen, Regelungen, Tarifverträge … Schranken für die Zeitarbeit gab es schon immer. Und schon lange hat die Branche mit einem schlechten Ruf zu kämpfen. Sicherlich gab und gibt es einige schwarze Schafe unter den Personaldienstleistern. Vor einigen Jahren sind Zeitarbeitsfirmen geradezu aus dem Boden geschossen. Die hohe Wettbewerbssituation hat die Löhne extrem gedrückt. Dabei wird vergessen, dass nicht die Zeitarbeit den Lohn vorgibt, sondern die Wirtschaft. Freiheiten hatten wir dies bezüglich nie. Firmen schaffen die Nachfrage und geben den Kostenrahmen vor.
Uns ist es mehr als Recht, wenn ein Mitarbeiter mehr Geld bekommt, denn dann verdienen wir auch mehr. Hinzu kommt der menschliche Faktor: Natürlich bin ich der Meinung, dass ein Arbeiter ein bestimmtes Grundgehalt benötigt, welches noch über dem Mindestlohn liegt, wenn er seine Familie sicher ernähren will. Die Zeitarbeit ist ein Weg zur Arbeit. Niemand hat behauptet, dass es der beste ist. Und den Anspruch haben wir auch nicht. Wir vermitteln Arbeitnehmer, sind aber in der Entlohnung auf das Angebot des Arbeitgebers angewiesen. Da es sich oftmals um kurzfristige Projekte handelt und nicht selten auch ungelernte Kräfte vermittelt werden, passt sich der Lohn entsprechend an. In Deutschland hat jeder die Möglichkeit, mit der passenden Aus- und auch Weiterbildung seinen Berufswunsch einzuschlagen. Mit den neuen Gesetzesentwürfen verschiebt sich meiner Meinung nach der Verantwortungsbereich. Jeder ist seines Glückes Schmied!
Business-on.de: Könnten die Änderungen im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz nicht auch als Chance gesehen werden? Immerhin ließe sich so ein besserer Ruf aufbauen?
Thorsten Schumacher: Das denke ich nicht. Der Gesetzentwurf zur Arbeitnehmerüberlassung scheint mir wieder eine Karusselllösung zu sein; in der Konsequenz muss ein Arbeitnehmer von seinem Einsatz abgerufen – obwohl er noch gebraucht wird – und durch einen neuen ersetzt werden.
Weiterhin wird uns der Markt die Löhne und die Einsatzdauer vorgeben. Eine versuchte Regulierung seitens der Politik wird daran nichts ändern können. Deswegen ist es auch das langfristige Ziel der WIP GmbH die Zeitarbeit um 50 Prozent zu reduzieren. Viele andere Personaldienstleister werden ebenfalls diesen Schritt anstreben. Der Ruf der Zeitarbeit bleibt trotz allem zu negativ behaftet, dass sich andere Zweige gesucht werden müssen. Die WIP GmbH wird verstärkt auf die Bereiche der Personalberatung, der Personalvermittlung und nicht zuletzt des Recruitings setzen.
Unternehmen müssen sich als Marke sehen und sich entsprechend attraktiv aufstellen
Business-on.de: In den USA gehören Headhunter schon lange zum allgemeinen Berufsbild, während der Begriff in Deutschland noch etwas Exotisches mit sich trägt. Wie genau kann man sich die Arbeit vorstellen?
Thorsten Schumacher: Im Zuge des überall diskutierten Fachkräftemangels wird die Frage Wie decke ich meinen Personalbedarf? für Unternehmen immer wichtiger. Wir beschäftigen uns mit der Frage, wie wir unsere Kunden bedarfsgerecht mit qualitativen Arbeitskräften versorgen. In persönlichen Gesprächen mit der Unternehmensführung klären wir, wo genau wie viele Mitarbeiter mit welchen Qualifikationen für welchen Zeitraum benötigt werden. Eine erfolgreiche Recruitierung ist es für mich wenn die ausgeschriebene Stelle langfristig besetzt werden konnte. Dazu ist ein hohes Maß an Menschenkenntnis sowie ein breit aufgestelltes Netzwerk erforderlich. Passivität kann man sich nicht mehr leisten. Das gilt sowohl für Unternehmen im Allgemeinen als auch für die WIP. Um qualitative Mitarbeiter zu finden, müssen wir uns auf allen Kanälen – ob Print, Stellenbörsen oder Social Media – aktiv und selbstverständlich attraktiv aufstellen.
Business-on.de: Im Zuge der Fachkräfteengpässe begibt sich das Unternehmen zwangsläufig in die Rolle des Werbenden. Ist das vielleicht ein Lösungsansatz, dass die bislang strikten Rollen der Nehmer- und Geberpositionen langsam verwischen?
Thorsten Schumacher: So sehe ich das auch. Im Rahmen der Personalbeschaffung, beschäftigen wir uns nicht nur mit den Anforderungen unserer Kunden, sondern überlegen auch gemeinsam, wie sich das Unternehmen als Arbeitsplatz attraktiv präsentieren kann. Was wird dem Arbeitnehmer geboten? Der Lohn alleine reicht heutzutage nicht mehr aus. Immer wichtiger werden softe Faktoren wie das Arbeitsklima und eine gute Work-Life-Balance. Erfolgsorientierte Unternehmen können es sich nicht leisten ihre Außenwirkung dem Zufall zu überlassen. Unternehmen müssen sich als Marke sehen und sich entsprechend aufstellen.
Business-on.de: 25 Jahre Personaldienstleistung. Was ist für die nächsten Jahre geplant?
Thorsten Schumacher: Unser Ziel wird es sein, die Bereiche der Personalberatung, -beschaffung und der Personalvermittlung weiter auszubauen und uns auf dem Markt entsprechend zu etablieren. Hingegen wird der Bereich der Arbeitnehmerüberlassung nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Ähnlich sehe ich die Entwicklung der Branche generell. Die Suche nach geeigneten Fachkräften wird wesentlicher für Unternehmen, die nicht mehr mittels einer internen Abteilung zu bewerkstelligen ist. Professionelle Hilfe bei der Personalbeschaffung wird demnach immer wichtiger und als selbstverständlicher Teil der Personalwirtschaft angesehen.
Business-on.de: Herr Schumacher, wir danken für das Gespräch.