Einer der es wissen muss ist René Sion, Enkel des sogenannten „Vater des Kölsch“. Hans Sion, unvergessen als umtriebiger, Wegbereiter der Kölsch-Kultur. DIE WIRTSCHAFT KÖLN besuchte ihn in seinem Brauhaus Sion „Unter Taschenmacher zu Köln“.
DIE WIRTSCHAFT: Was ist eigentlich das Kölsche am Kölsch und wie erhält sich das Kölsch seine Echtheit?
René Sion: Kölsch ist zwar ein Getränk, aber Kölsch ist ebenso eine Lebensphilosophie. Die fängt beim Klüngel an und hört beim Karneval auf. Die Kölner Bevölkerung pflegt einen riesen Kult rund um ihr Traditionsgetränk. Es wird sogar behauptet, es gäbe Sommeliers mit kölschsensiblem Gaumen, die in Blindverkostungen die jeweilige Kölsch-Marke heraus schmecken können. Die Abgrenzung zu anderen Bieren deutscher Braukultur liegt im Brauprozess.
In der Präambel der „Kölsch-Konvention“, den Wettbewerbsregeln des Kölner Brauerei-Verbandes zum Schutze und zur Förderung der Wirksamkeit des Wettbewerbs, ist nachzulesen: Kölsch steht für „eine qualifizierte geographische Herkunftsbezeichnung für nach dem Reinheitsgebot hergestelltes helles, hochvergorenes, hopfenbetontes, blankes obergäriges Vollbier“.
Leidenschaftlicher formuliert klingt das dann in etwa so: Kölsch – blankes, pures Gold mit einer weißen, sahnigen Schaumkrone – da lacht das Herz des Bierfreundes.
DIE WIRTSCHAFT: Wie umsatzrelevant sind Tourismus und Brauchtum für Ihr Brauhaus und den Kölsch-Markt in der Metropole Köln?
René Sion: Die meisten Kölsch-Stangen leert die Kölner Bevölkerung selbst. Die viel zitierte Offenheit des Kölners an sich, gilt jedenfalls nicht gegenüber anderen Bieren. Kölsch hat im Stadtgebiet über 90% Marktanteil. Als Bierkonsument macht er die Marktbesetzung durch Andere nicht wirklich möglich. Kein Mensch weiß warum! In der Karnevals-Session 2011, in der ich selbst Mitglied des Dreigestirns war, gab es eine Thekenumfrage. Damals seien 150 Millionen Gläser Kölsch (30 Millionen Liter) während der Tage des Straßenkarnevals konsumiert worden. Verglichen mit dem statistischen Durchschnittswert von monatlich 21 Millionen Litern Kölsch, ist das ein deutliches Merkmal des Wirtschaftsfaktors Karneval für die Kölner Braukultur. In unserem Brauhaus gehen rund 3.000 Hektoliter Kölsch jährlich über die Theke. Eine weitere Statistik zur Häufigkeit des Konsums von Kölsch besagt, dass es in der deutschsprachigen Bevölkerung ab 14 Jahren im Jahr 2015 rund 0,48 Millionen Personen gab, die mehrmals pro Woche Kölsch konsumierten (Quelle: Statista 2016). Der touristische Umsatz kommt eher in den Sommermonaten und in der Weihnachtszeit. Das zurückliegende Weihnachtsgeschäft war wie immer, jedoch mit mehr Kölsch. Wir hatten ein super Terrassengeschäft, wegen der milden Witterung: 2 Glühwein und viel Kölsch. Es kommen mehr Spanier, die erkennt man daran, dass sie stets eine Karaffe Leitungswasser zum Kölsch bestellen. Es kommen auch mehr Italiener und Gäste aus Nachbarländern, die Köln via Busreiseunternehmen ansteuern. Gäste aus Bayern erkennt man leicht daran, dass sie Kölsch kranzweise bestellen und ziemlich bald umkippen. Aber auch die regionalen Speisen sind aus der Kölner Brauhauskultur nicht wegzudenken. Die erwartet der Gast.
DIE WIRTSCHAFT: Ihre Nähe zum karnevalistischen Brauchtum ist nicht zu übersehen. Wie erleben Sie die Entwicklung des Traditionellen?
René Sion: Brauchtum lässt sich nicht kopieren. Das Kopieren verwässert Brauchtums-Feste. Man sieht es am Oktoberfest. In München kommen die Menschen in Tracht zum Oktoberfest. In Köln im Karnevals-Kostüm. Je globaler die Gesellschaft wird, umso mehr gewinnt Regionales an Wert. Ein Besuchermagnet in unserem Brauhaus ist die Braustube. Dort ist „mein“ Dreigestirn in Lebensgröße in Originalornaten zu besichtigen. Außerdem gibt es eine kleine mediale Führung durch die Geschichte des Karnevals, vom 11.11. bis Aschermittwoch; eine komplette Regentschaft. Am 11.11.10 starteten wir im Kölner Rathaus, machten viele Zwischenstationen, eine sogar beim Papst in Rom. Es war eine bewegende Zeit in meinem Leben. Ich bin 1968 am Aschermittwoch geboren und werde an einem Rosenmontag 60.
DIE WIRTSCHAFT: Arbeiten Sie noch selbst aktiv im Brauhaus oder findet Ihr unternehmerischer Alltag eher hinter den Kulissen statt?
René Sion: Mein Arbeitsplatz ist so traditionell wie die Kölner Braukultur. Meist sitze ich im Beichtstuhl. Das ist der Platz im Brauhaus, von dem aus man den besten Überblick über das Geschehen im Thekenbereich und Küchenbereich hat. Früher war der Beichtstuhl auch Abrechnungs- und Beschwerdestelle. Heute kommen die Gäste eher wegen der Reservierungen.
DAS BRAUHAUS ALS FAMILIENUNTERNEHMEN
René Sion, Enkel von Hans Sion, betreibt das Traditionsbrauhaus Sion in der Kölner Altstadt. Hans Sion gilt als „Vater des Kölsch“. 1912 geht das Haus „Unter Taschenmacher zu Köln“ in den Besitz von Jean Sion über. Er macht das Brauhaus zu einem beliebten, vor allem aber klassenlosen Treffpunkt. Handwerker, Ratsherren, Arbeiter oder Beamte – sie alle kommen „Em Sion“ auf ein Kölsch zusammen. Sohn Hans, studierter Jurist und Braumeister, übernimmt den Familienbetrieb in schwierigen Zeiten. Im Mai 1942 wird das geschichtsträchtige Brauhaus in der „Nacht der 1000 Bomben“ auf Köln völlig zerstört. Aus den Trümmern baute Hans Sion den elterlichen Betrieb wieder auf, organisierte Rohstoffe und besorgte Braugenehmigungen bei der englischen Besatzung. Hans Sion erkannte als Erster, wie wichtig es ist, ein lokales und unverwechselbares Bier zu brauen. Mit aller Kraft setzte er sich für das obergärige Kölsch ein und legte damit den Grundstein für den Erfolg als regionaltypische Spezialität. Als Hans Sion im Januar 1998 im Alter von 86 Jahren starb, verlor das Kölner Braugewerbe einen wichtigen Impulsgeber. Als Verfechter der Kölsch-Kultur, Wegbereiter der Kölsch-Konvention und Gründer des Kölner Brauhaus-Wanderweges trägt Hans Sion daher heute auch den Ehrentitel „Vater des Kölsch“. Enkel René Sion ist Vater von sieben Töchtern vom Sternsinger bis ins Studentenalter. Er beschäftigt rund 80 Mitarbeiter. Der Familienunternehmer eröffnet in den nächsten Tagen ein kleines Hotel mit 25 Zimmern, direkt neben dem Brauhaus.
Das Interview erschien in der ersten Ausgabe von DIE WIRTSCHAFT im Februar 2016.
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