Positiv-Kriterien, Anerkennung agiler Arbeitsmethoden, zeitgemäße Risiko-Definition: In einer großen Online-Konferenz mit einer Vielzahl von Sozialrechtsfachleuten hat der Verband der Gründer und Selbstständigen (VGSD) in Zusammenarbeit mit der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände (BAGSV) konkrete Vorschläge VGSD und BAGSV für eine Reform des Statusfeststellungsverfahrens vorgelegt – insgesamt 30 von Praktikern priorisierte Verbesserungs- und Lösungsvorschläge.
Das Statusfeststellungsverfahren in seiner derzeitigen Form schafft Rechtsunsicherheit sowohl für Auftraggeber als auch für Auftragnehmer. Dies belegte die Online-Konferenz am 24. Juni 2024 mit rund 20 Expertinnen und Experten aus dem Sozialrecht, darunter Betroffene, zuständige Fachpolitikerinnen und -politiker und der Präsident des Bundessozialgerichts a. D., Rainer Schlegel, eindrücklich.
„Das Statusfeststellungsverfahren entfaltet seine zerstörerische Wirkung, und das egal, ob man ein Statusfeststellungsverfahren selbst macht, oder nicht“, sagte Holger Schäfer, Senior Economist beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Schäfer stellte eine Studie des IW Köln vor, nach der gut ein Drittel der Selbstständigen einen Umzug ins Ausland erwägt und ein Viertel von ihnen in Betracht zieht, die eigene Selbstständigkeit zu beenden.
Reform vom 1. April 2022 ist gescheitert
Auf der Konferenz stellte der VGSD zudem eine eigene Umfrage unter Sozialrechtsfachleuten vor. 75 Expertinnen und -experten – vor allem Anwälte und Rentenberater – hatten den Angaben zufolge einen Fragebogen mit 31 Fragen ausgefüllt. Die Antworten zeigten große Zweifel an der Unabhängigkeit der Deutschen Rentenversicherung (DRV) bei ihren Entscheidungen. Die Befragung belege zudem, dass die Reform des Statusfeststellungsverfahrens von 2022 nicht die gesetzten Ziele höhere Rechtssicherheit, Beschleunigung der Verfahren und geringerer bürokratischer Aufwand erfüllt habe. In allen diesen drei Aspekten hätten die Fachleute eher Verschlechterungen als Verbesserungen erkannt.
„Die Reform des Statusfeststellungsverfahrens im April 2022 ist gescheitert, das zeigen unsere Zahlen ganz deutlich. Die Regierung darf jetzt keine Zeit mehr verlieren und muss endlich wirksame Reformen angehen“, sagt Andreas Lutz, Vorstandsvorsitzender des VGSD. Der VGSD legt deshalb Lösungsvorschläge vor, die von den Fachleuten in der Umfrage priorisiert wurden.
Die wichtigsten Verbesserungsvorschläge sind:
- Bindung der DRV an von ihr getroffene Statusentscheidungen, Änderungen nur mit Wirkung in die Zukunft – wie es bis 2007 auch bei Betriebsprüfungen geltendes Recht war.
- Eine zeitgemäße Definition von unternehmerischem Risiko, die selbstständige Wissensarbeit ohne großen Kapitaleinsatz anerkennt.
- Kürzere und weniger missverständliche Fragebögen – 89 Prozent der Experten gaben an, dass die Fragebögen nur mithilfe eines Anwalts richtig ausgefüllt werden können.
- Die Klarstellung, dass in der Natur der Tätigkeit liegende Arbeitsbedingungen kein Kriterium gegen eine Selbstständigkeit sind. Zum Beispiel muss agiles Arbeiten und die dafür nötige Kommunikation mit dem Kunden in IT-Projekten wieder ermöglicht werden.
- Positivkriterien für Selbstständigkeit, beispielsweise die Höhe des Tagessatzes relativ zu vergleichbaren Angestellten, das Vorliegen einer angemessenen Altersvorsorge, das Vorhandensein einer Kapitalgesellschaft oder von sozialversicherungspflichtigen Mitarbeitenden.
- Prüfung der Person des Selbstständigen und seiner Tätigkeit statt Prüfung jedes einzelnen Auftrags. Aktuell wird von der DRV nicht das Gesamtbild berücksichtigt, zum Beispiel wie viele andere Auftraggeber ein Selbstständiger noch hat.
Früherer BSG-Präsident zeigt sich offen für Reform-Überlegungen
Der Präsident des Bundessozialgerichts a. D. Rainer Schlegel zeigte sich offen für Überlegungen, das Statusfeststellungsverfahren zu überarbeiten. Er schlug vor, die gesetzlichen Regelungen in § 7a des Vierten Buchs des Sozialgesetzbuchs zu ändern. Möglich sei beispielsweise mit widerlegbaren Vermutungen zu arbeiten. Er nahm hier die VGSD-Vorschläge auf und sagte, Kriterien für eine Selbstständigkeit könnten die Höhe der Bezahlung, das Vorliegen einer Altersvorsorge und einer Berufshaftpflicht sein. Den Überlegungen, die Person des Selbstständigen selbst zu prüfen, erteilte er eine Absage. Er räumte jedoch ein, dass die isolierte Betrachtung der jeweiligen Auftragsverhältnisse zu eng sei. „Es wäre wichtig, dass man nicht mehr nur abstellt auf ein einzelnes Vertragsverhältnis und nachfolgende und vorherige Vertragsverhältnisse ganz ausblendet“, sagte Schlegel.
Keine Altersvorsorgepflicht ohne Rechtssicherheit
Die anwesenden Bundestagsabgeordneten Beate Müller-Gemmeke (Grüne) und Jens Teutrine (FDP) verknüpften eine Reform des Statusfeststellungsverfahren mit der geplanten Einführung einer Altersvorsorgepflicht für Selbstständige im Rahmen des „Rentenpaket 3“: „Wir haben vereinbart, dass wir das Statusfeststellungsverfahren mit dem Rentenpaket 3 anpacken“, so Müller-Gemmeke. Dem stimmte Teutrine zu und sagte im Hinblick auf die erst Ende 2025 geplante offizielle Überprüfung der Statusfeststellungs-Reform von 2022: „Wir können auch vor der Evaluation schon deutlich etwas verändern.“
Nachdem das Rentenpaket 2 (deutliche Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge) im Mai vom Kabinett beschlossen wurde, ist das Rentenpaket 3 das nächste große Vorhaben im Arbeitsministerium (BMAS). Mit ihm soll eine Altersvorsorgepflicht für Selbstständige eingeführt werden. Im Gegenzug muss, so die Überzeugung der Verbände und der genannten Politiker, auch die Herstellung von mehr Rechtssicherheit einhergehen.
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