Angesichts eines deutlichen Anstiegs der Krankmeldungen, die 2022 in Deutschland mit durchschnittlich 15 Arbeitstagen pro Mitarbeiter einen Höchststand erreichten, setzen einige Unternehmen auf Anwesenheitsprämien als Gegenmaßnahme.
Nicht nur durch Corona, sondern allgemein melden sich Arbeitnehmer immer häufiger krank: Vor diesem Hintergrund ist die Diskussion um die Anwesenheitsprämie, die auch als Gesundheitsprämie bezeichnet wird, verstärkt in den Fokus gerückt.
Solche Prämien dienen sozusagen als finanzielle Belohnung für Mitarbeiter, die sich durch geringe oder gar keine Fehlzeiten auszeichnen. Die dahinterliegende Idee: Wer regelmäßig arbeitet, leistet mehr und sollte daher auch mehr verdienen.
Doch bringt dieser finanzielle Anreiz tatsächlich die erhoffte Motivation? Viele Experten sehen die Anwesenheitsprämie kritisch. Dieser Artikel diskutiert die Vor- und Nachteile von Anwesenheitsprämien und erörtert, ob solche Boni wirklich sinnvoll sind und welche rechtlichen Hürden es möglicherweise gibt.
Alles über Anwesenheitsprämien
Anwesenheitsprämien werden von vielen Unternehmen eingesetzt, um die Fehlzeiten der Mitarbeiter zu reduzieren und dadurch Kosten zu senken. Diese Prämien sind also finanzielle Anreize für diejenigen, die regelmäßig arbeiten und selten krankheitsbedingte Ausfälle haben.
Sie sollen damit nicht nur die Präsenz im Büro erhöhen, sondern auch dazu beitragen, dass sich die Mitarbeiter stärker mit ihrem Arbeitsplatz verbunden fühlen und somit das allgemeine Betriebsklima verbessern.
Was ist eine Anwesenheitsprämie?
Die Grundidee hinter einer Anwesenheitsprämie ist einfach: Wenn Mitarbeiter wissen, dass sie für konstante Anwesenheit zusätzlich zum Gehalt belohnt werden, können sie eher geneigt sein, bei lediglich leichtem Unwohlsein dennoch zur Arbeit zu erscheinen. Dieses System funktioniert durch eine einfache Regelung: Jeder Mitarbeiter erhält eine festgelegte Prämie, die sich in Abhängigkeit von den Fehltagen reduziert.
Die Anwesenheitsprämie wird gewöhnlich dann gezahlt, wenn Mitarbeiter entweder überhaupt keine Fehlzeiten innerhalb eines Jahres haben oder eine zuvor definierte Anzahl an Fehltagen nicht überschreiten.
Die Auszahlung dieser Prämien variiert dabei je nach Unternehmen: Einige Unternehmen wählen eine quartalsweise Zahlung – beispielsweise eine Prämie von 150 Euro für jedes Quartal ohne Krankheitstage. Falls ein Mitarbeiter dennoch krank wird, wird die Prämie anteilig gekürzt, abhängig von der Anzahl der Fehltage. Gesetzliche Bestimmungen, wie das Entgeltfortzahlungsgesetz, regeln die maximal mögliche Kürzung.
Ein hypothetisches Rechenbeispiel: Arbeitnehmern mit einem Jahresgehalt von 60.000 Euro und 250 Arbeitstagen im Jahr wird für jeden krankheitsbedingten Ausfalltag 50 Euro von ihrer Prämie abgezogen.
Welchen Nutzen hat eine Anwesenheitsprämie?
Unternehmen erhoffen sich durch Anwesenheitsprämien die Möglichkeit, die Fehlzeiten der Belegschaft zu verringern. Diese Prämien werden als zusätzliche Zahlungen neben dem Arbeitsentgelt angeboten und sollen die Mitarbeiter dazu motivieren, sich gesund zu halten und seltener krankzuschreiben.
Auf den ersten Blick scheinen solche Anreize durchaus Vorteile wie Kostenreduktion und geringere Zusatzbelastungen für Kollegen zu bieten, die sonst im Krankheitsfall einspringen müssten. Sie fördern auch eine eigenverantwortliche Gesundheitsvorsorge und können zu einem gesünderen Lebenswandel anregen.
Welche negativen Auswirkungen hat die Prämie?
Jedoch warnen Experten vor den möglichen negativen Auswirkungen. Sie heben hervor, dass die Prämie Misstrauen ausdrückt, da sie unterstellt, dass Mitarbeiter ohne diesen Anreiz eher „krankfeiern“ würden. Das kann das Betriebsklima belasten und letztlich auch die Leistung und Zufriedenheit beeinträchtigen. Außerdem besteht die Gefahr, dass Mitarbeiter trotz Krankheit arbeiten gehen, was zu einer höheren Ansteckungsgefahr im Unternehmen führen kann.
Ein weiteres Problem ist die Ungleichheit in der Vergabe der Prämien. Ältere oder vorerkrankte Personen befinden sich häufiger im Krankenstand und haben damit geringere Chancen, die Prämie zu erhalten. Stattdessen wird empfohlen, in ein gutes Arbeitsklima und präventive Gesundheitsmaßnahmen zu investieren, wie zum Beispiel durch das Angebot von Sport- und Gesundheitskursen oder das betriebliche Eingliederungsmanagement, das langzeiterkrankten Mitarbeitern hilft, wieder in den Arbeitsprozess einzusteigen.
Die Höhe einer Anwesenheitsprämie
Arbeitgeber haben die Freiheit, die Höhe der Anwesenheitsprämie nach eigenem Ermessen zu bestimmen und können, sofern sie dies begründen können, unterschiedliche Prämienbeträge für verschiedene Mitarbeitergruppen festsetzen. Dabei lassen sich die Unternehmen häufig von branchenüblichen Erfahrungen leiten.
In der Praxis sind diese Prämien jedoch meist moderat, da eine zu hohe Prämie paradoxerweise kaum Anreiz bietet, immer präsent zu sein. Dies liegt daran, dass bei einer hohen Prämie und der gesetzlichen Beschränkung der Kürzung für jeden Krankheitstag viele Fehltage nötig wären, bevor die Prämie vollständig entfällt.
Wann kann eine Prämie gekürzt werden?
Die Kürzung einer Prämie wegen Krankheit ist rechtlich klar geregelt. Laut Paragraf 4a des Entgeltfortzahlungsgesetzes darf der Abzug für jeden Krankheitstag höchstens ein Viertel des täglichen Arbeitsentgelts betragen. Um diesen maximalen Kürzungsbetrag zu ermitteln, wird das Jahresbruttoentgelt durch die Anzahl der Arbeitstage geteilt – das Ergebnis wird dann durch vier geteilt.
Diese Regelung sorgt dafür, dass die finanzielle Einbuße für den Mitarbeiter bei Krankheit begrenzt bleibt und die Prämienkürzung fair und transparent erfolgt. Sie schützt Arbeitnehmer vor übermäßigen finanziellen Nachteilen und stellt gleichzeitig sicher, dass Prämien als Anreiz für Anwesenheit im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben bleiben.
Anwesenheitsprämien – was schreibt das Arbeitsrecht vor?
Eine Anwesenheitsprämie gilt nach dem Arbeitsrecht als eine Zusatzleistung, die Unternehmen einsetzen, um die Präsenz ihrer Mitarbeiter zu fördern. Sie werden entweder als regelmäßige oder einmalige Zahlungen geleistet – vorausgesetzt, die Mitarbeiter verzeichnen keine oder nur minimale Fehlzeiten. Obwohl diese Prämien nicht explizit gesetzlich geregelt sind, gibt es dabei einige wichtige arbeitsrechtliche Prinzipien, die Arbeitgeber berücksichtigen müssen.
Erstens müssen Anwesenheitsprämien im Einklang mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz stehen und dürfen keine Diskriminierung fördern. Auch sollte der Betriebsrat miteinbezogen werden, da dieser bei der Ausgestaltung der Prämie ein Mitspracherecht hat, jedoch nicht über deren Einführung oder Höhe bestimmen darf.
Unternehmen sollten zudem beachten: Ein wiederholtes Gewähren dieser Prämien kann eine betriebliche Übung begründen, wodurch Mitarbeiter einen rechtlichen Anspruch darauf entwickeln könnten.
Für die steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Behandlung zählen Anwesenheitsprämien zum Arbeitslohn. Das bedeutet, dass sie in der Regel sozialversicherungspflichtig und steuerpflichtig sind – es sei denn, sie fallen unter bestimmte Ausnahmeregelungen, wie die Steuerfreiheit von Sachbezügen bis zu einem gewissen Freibetrag.
Eine solche Ausnahme besteht beispielsweise, wenn Prämien als Sachbezüge bis zu einem Freibetrag von 50 Euro monatlich gegeben werden, wie zum Beispiel in Form eines Gutscheins für einen Monat ohne Krankheitstage.
Zieldefinition
Im Arbeitsrecht sind Anwesenheitsprämien ein Instrument definiert, das darauf abzielt, Fehlzeiten am Arbeitsplatz zu verringern. Diese Prämien, die über das vereinbarte Gehalt hinausgehen, modifizieren die traditionellen Grundsätze von Lohnzahlungen: Sie bieten einen finanziellen Anreiz für Mitarbeiter, weniger häufig abwesend zu sein, und unterstützen somit Arbeitgeber in ihren Bemühungen, Produktivität und Anwesenheit im Unternehmen zu steigern.
Die rechtliche Verankerung einer Anwesenheitsprämie muss klar definiert sein. Ohne Tarifvertrag müssen solche Prämien über eine Betriebsvereinbarung geregelt werden, wobei der Betriebsrat einzubeziehen ist. Fehlt ein Betriebsrat, können Regelungen direkt im Arbeitsvertrag festgeschrieben werden. Dadurch wird sichergestellt, dass alle Mitarbeiter fair und einheitlich behandelt werden.
Rechtliche Bewertung
Anwesenheitsprämien werden in der Regel jährlich ausgezahlt. Die Grundlage für diese Zahlungen wird entweder individuell im Arbeitsvertrag festgelegt, entwickelt sich aus einer langjährigen betrieblichen Übung oder wird durch eine Betriebsvereinbarung sowie einen Tarifvertrag geregelt. Wichtig ist, dabei alle rechtlichen Regelungen einzuhalten, um dem fairen Umgang mit den Mitarbeitenden zu entsprechen.
Ein Blick auf die Fehlzeiten
Welche Fehlzeiten werden in Unternehmen typischerweise als solche registriert – und wie verhält es sich jeweils mit der Anwesenheitsprämie? Krankheitstage stehen an der Spitze der Ursachenliste für Fehlzeiten. Daneben spielen aber auch private Gründe, wie familiäre Verpflichtungen oder persönliche Angelegenheiten, eine wichtige Rolle.
Krankheitsbedingter Ausfall
Wenn Mitarbeiter krankheitsbedingt ausfallen, stellt sich die Frage, wie das finanziell zu handhaben ist – insbesondere bei Sondervergütungen. Laut § 4a des Entgeltfortzahlungsgesetzes dürfen Unternehmen Zeiten der Arbeitsunfähigkeit bei der Berechnung von Kürzungen dieser Zahlungen berücksichtigen.
Das Gesetz setzt jedoch eine klare Grenze: Für jeden Tag, an dem ein Mitarbeiter krankheitsbedingt nicht arbeiten kann, darf die Kürzung höchstens ein Viertel des durchschnittlichen Tagesentgelts betragen. Diese Regelung sorgt dafür, dass Mitarbeiter bei Krankheit finanziell nicht übermäßig belastet werden, während sie gleichzeitig den Unternehmen erlaubt, ihre Vergütungsstruktur anzupassen.
Mutterschutz
Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs stellt klar, dass Minderungen von Anwesenheitsprämien aufgrund von Mutterschutzzeiten nicht erlaubt sind. Dieses Urteil beruht auf dem Prinzip der Gleichstellung von Mann und Frau gemäß Artikel 141 des Amsterdamer Vertrags und verbietet jegliche Leistungsminderungen während des Mutterschutzes.
Urlaub
Im Arbeitsleben ist der bezahlte Mindesturlaub ein fest verankertes Recht laut Bundesurlaubsgesetz. Die Entgeltfortzahlung im Urlaub sichert, dass Arbeitnehmer auch in ihrer freien Zeit ihren gewohnten Lebensstandard beibehalten können, ohne finanzielle Einbußen zu erfahren. Entsprechend darf der gesetzlich garantierte Mindesturlaub in keiner Weise finanziell beeinträchtigt werden. Daraus folgt, dass während des bezahlten Mindesturlaubs jegliche Kürzung der Anwesenheitsprämie nicht statthaft ist.
Anders verhält es sich mit unbezahltem Sonderurlaub: In solchen Fällen ist eine Anpassung der Anwesenheitsprämie zulässig. Arbeitgeber haben also die Möglichkeit, die Anwesenheitsprämie zu reduzieren, wenn ein Mitarbeiter sich für einen unbezahlten Sonderurlaub entscheidet. Dies reflektiert die Praxis, dass die Prämie als Anreiz für kontinuierliche Anwesenheit gedacht ist und bei längerer Abwesenheit ohne Gehaltsfortzahlung angepasst werden kann.
Fazit
Anwesenheitsprämien sind ein umstrittenes Thema in der Arbeitswelt. Viele Arbeitgeber setzen sie ein, um die Fehlzeiten zu reduzieren und die Anwesenheit am Arbeitsplatz zu erhöhen. Die kurzfristigen Effekte können zwar durchaus auf den ersten Blick positiv erscheinen, indem weniger Krankheitstage verzeichnet werden – jedoch zeigt die Erfahrung auch viele langfristige Nachteile.
Ein wichtiges Problem ist, dass Mitarbeiter trotz echter Erkrankungen zur Arbeit erscheinen, was nicht nur ihre eigene Gesundheit verschlechtert, sondern auch das Risiko erhöht, Kollegen anzustecken. Das kann zu einer Verlängerung der Krankheitsdauer und sogar zur Chronifizierung von Leiden führen. Für viele Mitarbeiter gehört eine Anwesenheitsprämie deshalb zu den Dingen, die ein Chef niemals tun würde – oder sollte.
Andere Erfahrungen zeigen, dass sich eine solche Sonderleistung sogar kontraproduktiv auswirken kann. In einigen Fällen führt die Einführung solcher Prämien zu einem Anstieg der Fehltage, da Mitarbeiter die Abwesenheit als zunehmend akzeptabel ansehen.
Angesichts dieser Schwierigkeiten wenden sich viele Unternehmen alternativen Belohnungsmodellen zu. So können ein individueller Leistungsbonus für die Übernahme zusätzlicher Aufgaben erkrankter Kollegen oder teambasierte Erfolgsprämien, die gemeinsame Ziele honorieren, effektivere und gerechtere Anreize schaffen. Solche Modelle fördern die Zusammenarbeit und die persönliche Leistung – ohne die Gesundheit zu gefährden.
Ein individueller Leistungsbonus oder teambasierte Erfolgsprämien können sogar als Unique Selling Proposition (USP Marketing) des Unternehmens dienen. Wer dennoch eine Anwesenheitsprämie einführen möchte, sollte dies mit transparenten und gerechten Regelungen tun, idealerweise in Absprache mit dem gesamten Team, um faire Bedingungen sicherzustellen.
Bildquellen:
- Anwesenheitsprämie: Bild von JLco - Julia Amaral auf IStockPhoto