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Gehaltsverhandlung sind von gestern: Wie ein Kölner Unternehmen das Entlohnungssystem in Mitarbeiterhand legt

Über Geld spricht man nicht. So ein Sprichwort, das in Unternehmen an seine Grenzen stößt. Trotz aller Benefits gilt das Gehalt noch immer als stärkster Faktor in puncto Mitarbeiterzufriedenheit und -Bindung. Auf der anderen Seite sind Gehaltsgespräche unangenehm für alle Beteiligten. Das Digitalunternehmen “Ambient” mit Sitz in Köln und Berlin hat sich dem Missstand angenommen und seine Mitarbeiter ein Entlohnungssystem entwerfen lassen, das auf objektive Werte und Transparenz setzt. Business-on.de sprach mit CEO Felix Schul und Jonas Jankus, Team „People & Culture“, der das neue Gehaltsmodell initiiert hat, über die Transformation und die Dynamik, die diese mit sich bringt.

Gehaltsverhandlungen sind von gestern

“Ab heute gibt es bei uns keine Gehaltsverhandlungen mehr!” Für diese Aussage erhielt Jonas Jankus viel Beifall über Linkedin, als er im Sommer einen Post zu einem neuen – von den Mitarbeitern der Digitalagentur “Ambient” selbst ausgearbeiteten – Entlohnungssystem auf der sozialen Plattform veröffentlichte.

Der Beifall war an für sich nicht überraschend. Immerhin gelten die bislang geltenden starren Entlohnungsmodelle für viele als überholt und nicht mehr zeitgemäß. Wer New Work will, der kommt an New Pay nicht vorbei. So der Ansatz.

Die Digitalagentur “Ambient” mit Sitz in Köln und Berlin lebt New Work seit den Anfängen. 2010 gegründet, ist das Team innerhalb der vergangenen Jahre stark gewachsen und zählt mittlerweile über 95 Mitarbeiter, die intern “die Crew” genannt werden. Unterteilt wird diese in drei Teamarten – Scrum, Squad und Circles – die allesamt gleich wichtig sind. Hierarchische Strukturen gibt es keine, die Büroräumlichkeiten in Köln Ehrenfeld sind hell und offen gestaltet, der Umgang ist freundlich, die Kommunikationswege sind kurz und Problemlösungen schnell.

“Wir sind immer nur so gut, wie unsere Mitarbeiter” – Zufriedenheit im Fokus

Wer sich online bei Ambient einen Überblick über die Mitarbeiter machen möchte, findet keine tabellarische Auflistung. Jedes Teammitglied ist mit einem Foto und einer ausführlichen Beschreibung präsent, irgendwo zwischen den Reihen stößt man auf die Geschäftsführer Dennis Gilliam und Felix Schul. Grundsätzlich gibt es bei der Digitalagentur keine Teamleads und keine Abteilungsleiter. Erfolg ist bei Ambient Teamwork, statt Softwarelösung im Fast-Food-Format wird auf Vertrauen und langfristige Beziehungen gesetzt.

Kurz: Ambient setzt auf Agilität, Selbstständiges und selbst bestimmtes Arbeiten, ein hohes Maß an Flexibilität und Freiheit sowie Mitbestimmungsrecht und Teilhabe am Team.

“Wir sind immer nur so gut wie unsere Mitarbeiter”, sagt Jonas Jankus, der zum Team “People & Culture” gehört und als “Allrounder rund um sämtliche Themen um den Menschen, wie Onboarding, Weiterbildung und Betreuung” vorgestellt wird. Als Arbeits- und Organisationspsychologe gehört die Gewährleistung der Mitarbeiterzufriedenheit zu Jankus’ beruflichen Ansprüchen, die mit regelmäßig durchgeführten Mitarbeiterumfragen stichpunktartig sichergestellt werden. Verbesserungswünsche werden immer ernst genommen.

Entlohnung zerlegt: “Was bezahlen wir eigentlich wem wofür?“

So auch die Kritikpunkte zum bislang praktizierten Entlohnungssystem, wobei weniger die Vergütung selbst als die Gehaltsverhandlungen als nervig angesehen wurden.

Für Jankus total nachvollziehbar. Und auch Geschäftsführer Felix Schul war für den Vorschlag, das Entlohnungsmodell einem Update zu unterziehen, dankbar. Alleine schon aus pragmatischen und ökonomischen Gründen sah Schul deutlich Verbesserungspotenzial. “Die Gehaltsgespräche, die wir im Rahmen eines Mitarbeiterentwicklungsgesprächs einmal im Jahr geführt haben, nehmen sehr viel Zeit in Anspruch, ohne dass ein Mehrwert ersichtlich ist”, erklärt Schul. “Meist sind solche Gespräche für beide Seiten unangenehm und der Ausgang nur selten voll und ganz zufriedenstellend”.  Hinzu kommen Probleme hinsichtlich der Organisation: “Noch vor zwei Jahren war das für uns mit 60 Mitarbeitern noch einigermaßen handlebar”, fügt Jankus hinzu. “Mit der aktuellen Größe von knapp 100 Mitarbeitern sind regelmäßige Feedback- und Gehaltsgespräche kaum noch zu stemmen.”

Die im Rahmen einer Folgebefragung seitens der Mitarbeiter angegebenen Kritikpunkte, wie fehlende Systematik und Transparenz, waren für Schul und Jankus nachvollziehbar.

“Wir sind immer nur so gut wie unsere Mitarbeiter”, sagt Jonas Jankus

“Wir sind immer nur so gut wie unsere Mitarbeiter”, sagt Jonas Jankus.

Mit der Einsicht war die viel gelobte “halbe Miete” allerdings noch lange nicht in der Tasche. Wie soll man ein Modell konzipieren, welches sich für knapp 100 Mitarbeiter gleichermaßen fair und objektiv anwenden lässt?

Es begann ein langer Gedankenprozess zu der Frage, wie sich Gehälter eigentlich ermitteln lassen sollten. “Wofür bezahlen wir da eigentlich?”, fasst Jankus die eigentliche Frage hinter der gewünschten Änderung zusammen. Wer bekommt eigentlich was für welche Tätigkeit? Was muss ich tun, um in die nächste Gehaltsstufe aufsteigen zu können? Und vor allem auch: Wie können Mitarbeiter abgeholt werden, die weder gerne noch erfolgreich verhandeln können oder wollen? Zumal nicht alle Arbeiten gut messbar sind – in den Bereichen der Human Ressource gelten beispielsweise andere Anforderungen an die Arbeit, als im Marketing oder in der Software-Entwicklung. Erfolg lässt sich schwer beurteilen und noch weniger pauschalisieren.

Verhandlungsgeschick und Berufsabschluss spielen keine Rolle mehr…

Dies waren in etwa die Herausforderungen, mit denen sich ein interdisziplinäres und repräsentatives Team fast ein Jahr beschäftigt hat. Schritt für Schritt wurde gemeinschaftlich ein Gehaltsmodell entwickelt, welches zum einen zu den Werten und Kultur des Unternehmens passt und zum anderen für die Mitarbeiter transparent, objektiv und für alle fair ist.

Knapp ein Jahr später konnte ein neues Kompetenzmodell vorgestellt werden, das die Entlohnung anhand verschiedener Level festsetzt. Die Grundlage für die Einstufung bildet in erster Linie das marktübliche Gehalt – angepasst an die individuellen Ambient-Anforderungen, der Sprung in eine nächsthöhere Gehaltsstufe wird durch ein Punktesystem geregelt, welches sich aus beobachteten Kompetenzen ergibt.

Nicht mehr Teil des Entlohnungssystems sind der Berufsabschluss, Zusatzausbildungen, die Berufserfahrung sowie rhetorische Skills, wie beispielsweise das Verhandlungsgeschick. Stattdessen können Punkte in den Bereichen Fachkompetenz, Teamorientierung und Zugehörigkeit zum Unternehmen gesammelt werden. “Auch das Handeln nach unseren unternehmerischen Werten fließt mit in die Bewertung ein”, konkretisiert Jankus, der sich im

Zuge der Gehaltstransformation intensiv in die Thematik “New Pay” eingelesen hat.  Mit dem Ergebnis, das Ende 2022 präsentiert werden konnte,  war der Großteil des Teams sehr zufrieden.

94 Prozent des Teams befürworten das neue Gehaltsmodell

“Wir haben nach Abschluss unserer Ausarbeitungen das neue System vor der gesamten Crew vorgestellt”, erzählt Jankus. Alleine die Umstellung auf die Mitarbeiter habe weitere drei bis vier Monate gedauert. Für das gesamte Team ein enormer organisatorischer Aufwand. Ob sich das gelohnt hat, wollten wir von Jonas Jankus und Felix Schul wissen. “Der Feinschliff war der mühseligste Teil der Entwicklung”, wägt Jankus ab. “Die Kriterien bezüglich Erfolg und Leistung sollten spezifisch genug zur Bewertung und vage genug sein, um sich entfalten zu können. Das hat natürlich zu Diskussionen, aber auch zu vielen Aha-Effekten geführt. Insgesamt sind wir sowohl individuell und als auch als Gemeinschaft an diesem Prozess enorm gewachsen”, ist sich der Personaler sicher.

“Die Gehaltsgespräche, die wir im Rahmen eines Mitarbeiterentwicklungsgesprächs einmal im Jahr geführt haben, nehmen sehr viel Zeit in Anspruch, ohne dass ein Mehrwert ersichtlich ist”, erklärt Schul.

“Die Gehaltsgespräche, die wir im Rahmen eines Mitarbeiterentwicklungsgesprächs einmal im Jahr geführt haben, nehmen sehr viel Zeit in Anspruch, ohne dass ein Mehrwert ersichtlich ist”, erklärt Schul.

Felix Schul ergänzt: „In einer Umfrage, die wir nach der Fertigstellung und der ersten Präsentation gestartet haben, haben sich 94 Prozent aller Kolleginnen und Kollegen für das neue Modell ausgesprochen. Wäre der Wert unter 90 Prozent geblieben, hätten wir das Modell weiter angepasst.”

Die Zufriedenheitsquote ist seitdem stabil geblieben. Und das obwohl rund 20 Prozent der Belegschaft gemäß des traditionellen Systems  zu hoch eingestuft waren. Die Klarheit darüber, wo der Mitarbeiter steht und wo noch Potenzial nach oben ist, schaffe neue Anreize, die von dem Team durchweg als positiv gewertet wurden und für das Unternehmen durchweg Vorteile bringen würde.

Insgesamt gibt es bei Ambient jetzt drei Vergütungslevel pro “Rolle”, die in Zwischenlevel untergliedert sind.  “Was wir erreichen wollten, ist Transparenz”, resümiert Schul. „Mauschelei führt zwangsläufig zu einem Gefühl der Ungerechtigkeit.” Mit dem neuen Gehaltsmodell sieht hingegen jeder Mitarbeiter, wo er steht und was er tun muss, um sein Gehalt zu steigern. “Wir haben jetzt ein System, das zu uns passt”, betont Schul. Die Rollenverteilung sei bewusster geworden und auch der Ansporn, sich positiv zu beweisen, sei nun stärker ausgeprägt. “Generell fördert das Modell ein höheres Maß an unternehmerischem Denken und Verbundenheit zum Business. Durch die Transparenz ist das Budget klar und auch Bewerbungsgespräche können effizienter und für beide Seiten fairer geführt werden.”

Jonas Jankus: “Wer eine einheitliche Wertebasis möchte, kommt an einem einheitlichen Gehaltsmodell nicht vorbei!”

Eine Win-Win-Situation für alle, ist sich die Ambient-Crew sicher. Nach dem  besagten Linkedin-Post, mit dem Jankus auf die Neuerungen im Unternehmen aufmerksam machte, habe er viele Anfragen von anderen Unternehmen bekommen, die sich für das entwickelte Gehaltsmodell interessieren. “Prinzipiell lässt es sich auf jede Branche anwenden”, meint Jankus. Doch die Hürde sei für viele immer noch zu groß. Schade, urteilt Jankus: “Es geht noch nicht mal darum, dass den meisten das Thema Geld unangenehm ist. Vielmehr sollte es um eine moderne Arbeitskultur gehen. Wer eine einheitliche Wertebasis möchte, kommt an einem einheitlichen Gehaltsmodell nicht vorbei – es ist der Grundstein für jede unternehmerische Transformation.“

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