Vom Geheimtipp zum beliebten Reiseziel
Von imposanten Vulkanen über uralte Gletscher bis hin zu dampfenden Thermalquellen: die kleine Insel im Atlantik bietet Naturliebhabern eine einzigartige Kulisse für Wanderungen, Fahrradtouren und andere Erlebnisse. Dennoch wagten sich in der Vergangenheit wenige Besucher in den hohen Norden. So waren es in 1950 gerade einmal 4.000. Erst in den 90er Jahren stiegen die Touristenzahlen an. In 2000 zählte Island bereits 585.000 Gäste. Seitdem wurden es von Jahr zu Jahr immer mehr.
Die Gründe dafür sind vielfältig: zum einen boten Fluggesellschaften wie Iceland Express (ab Mitte der Nullerjahre) und WOW air (ab 2011) günstige Flugverbindungen von vielen europäischen Flughäfen nach Reykjavík an. Zum anderen verlor die isländische Krone nach der Finanzkrise 2008 etwa 70 Prozent ihres Wertes, was für sinkende Preise bei Hotels und Restaurants sorgte. Dieser Preisverfall zog Urlauber an, für die Island als Reiseziel davor schlichtweg zu teuer gewesen ist. Darüber hinaus gewann das Fußballnationalteam bei seinem legendären Auftritt während der Europameisterschaft 2016 die Sympathie vieler Menschen weltweit und bescherte der Heimat der Geysire dadurch einen zusätzlichen Besucherboom.
Die gesteigerte Nachfrage nach touristischen Leistungen war eine Wohltat für die Wirtschaft der Insel und resultierte in der Entstehung vieler neuer Anbieter. Sogar eine spezifische Reiseplattform, auf der alles rund um den Island-Urlaub gebucht werden kann, gibt es inzwischen.
In 2014 wurde die Millionenmarke an Besuchern überschritten. In den letzten fünf Jahren hat sich die Anzahl noch einmal verdoppelt, und sie werden immer internationaler. Drei Viertel der Reisenden stammen aus Europa. Dabei stehen Bürger aus Großbritannien und Deutschland ganz vorne. Außerhalb Europas zieht Island vor allem Menschen aus den USA an, die 23 Prozent aller Gäste ausmachen. Auch in aufstrebenden asiatischen Ländern wie China steht die kleine Insel allerdings zunehmend auf der Wunschliste.
Die meisten Besucher erreichen Island mit dem Flieger, doch auch die Anzahl der Kreuzfahrtpassagiere, die auf ihrer Reise durch den Atlantik kurz an Land gehen, steigt jährlich weiter an.
Tourismus als Weg aus der Wirtschaftskrise
Die Finanzkrise 2008 traf Island besonders hart, da die Banken viel Kapital im Ausland investiert hatten. Sie mussten im selben Jahr verstaatlicht werden, um einen drohenden Staatsbankrott zu verhindern. Rund 80 Prozent der Unternehmen gingen in den kommenden Monaten insolvent und Kapitalverkehrskontrollen wurden eingeführt, um die Flucht ausländischer Investoren zu stoppen.
Knapp zehn Jahre später galt die Krise als überstanden. Die Wirtschaft wuchs 2018 um 4,61 Prozent, die Arbeitslosigkeit lag mit 2,9 Prozent niedriger als vor dem Bankencrash. Neben den finanziellen Regulierungen kam dem Tourismus eine Schlüsselrolle zu. Dieser machte im selben Jahr 12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus und spülte über drei Billionen US-Dollar in die Kassen des Landes.
Der Lebensstil der Isländer, der wegen der Finanzkrise spürbar an Qualität verloren hatte, verbesserte sich durch die ausländischen Besucher. Die Löhne stiegen kräftig, genauso wie die Importe aus dem Ausland. Viele Fischer und Landwirte, die mit ihrem Betrieb nicht mehr genug Geld erwirtschafteten, haben sich inzwischen ein zweites Standbein aufgebaut. Sie führen Touristen heute beispielsweise durch den Snæfellsjökull-Nationalpark oder zum berühmten Geysir, bewirten sie, betreiben Souvenirläden oder vermieten Zimmer in ihrem Haus.
Auch wenn die Besucherzahlen weiter zunehmen, bleibt Island – anders als beispielsweise Spanien oder die Türkei – bis jetzt vom Massentourismus verschont. Zwar entstehen zunehmend Hotels, um der steigenden Nachfrage gerecht zu werden, doch nach Bettenburgen suchen Reisegäste vergeblich. Die Unterkünfte bleiben stattdessen meist überschaubar und familiär geführt.
Wenn es nach dem Willen des Tourismusministeriums geht, sollen auch in Zukunft viele Menschen Island besuchen. Ein erklärtes Ziel besteht darin, Urlauber das ganze Jahr über anzulocken – und damit nicht mehr nur während der Sommermonate. Gerade die Polarlichter sind einer der Gründe, die für eine Reise im Winter sprechen. Mit den Einnahmen soll die Infrastruktur der Insel verbessert werden. Der Fokus liegt auf einem ökologischen Tourismus, der die einzigartige Natur schützt, damit Einwohner und Gäste sich auch künftig daran erfreuen können.