Die Preisspaltung vieler Stadtwerke in extrem teure Strom- und Gastarife für Neukunden und deutlich billigere Preise für Bestandskunden sei unzulässig. Das betont der Vorsitzende der Monopolkommission, der Kartellrechtsexperte Professor Jürgen Kühling. Der Berater der Bundesregierung rügt zugleich die Landeskartellämter, die bisher nicht gegen diese Preisdiskriminierung eingeschritten seien. „Die Preisspaltungen geben Anlass zur Sorge. Wenn man sieht, dass zum Teil Preisaufschläge bis zu 185 Prozent auf die vergleichbaren Preise gemacht werden, dann stellt man sich schon die Frage, ob hier nicht Preishöhenmissbräuche vorliegen“, sagt der Chef der Monopolkommission im Interview mit dem ZDF-Magazin „frontal“ und fügt hinzu: „Es kommt darauf an, dass die Landeskartellämter tätig werden, und das tun sie offensichtlich bislang nicht. Und das muss sich dringend ändern.“ „frontal“ berichtet in seiner Sendung am Dienstag, 25. Januar 2022, 21.20 Uhr.
Anbieter Stromio bittet Kunden um Verständnis für Kündigungen
Ursache der Zwei-Klassen-Gesellschaft bei den Energiepreisen sind die Vertragskündigungen der in Schieflage geratenen Billiganbieter wie „Stromio“ oder „gas.de“. Deren Geschäftsmodell der kurzfristigen Energiebeschaffung an den Spotmärkten ist wegen der seit Monaten drastisch gestiegenen Energiepreise nicht mehr wirtschaftlich. Um Insolvenzen zu verhindern, haben Discounter seit Mitte Dezember einfach Strom- und Gaslieferungen an Hunderttausende Haushaltskunden eingestellt. Dadurch sind die geschassten Kunden automatisch in die Grundversorgung, meistens bei den Stadtwerken, gefallen.
Auf „frontal“-Nachfrage teilten die Anwälte der Firma „Stromio“ mit: „Unsere Mandanten bedauern es ausdrücklich, dass Erdgas- und Stromlieferverträge aufgrund der historisch einmaligen Preisentwicklung am Energiemarkt gekündigt werden mussten.“ Die Beschaffungspreise seien in diesem Winter im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 400 Prozent höher. „Stromio“ bittet deshalb „um Verständnis“ und verspricht „die Kundenbeziehungen sachgerecht und kundenorientiert abzuwickeln“. Im Rahmen von Endabrechnungen sollen zustehende Guthaben und auch Neukundenboni ausgezahlt werden, heißt es in dem Schreiben an „frontal“.
Der Energiehandelsexperte Marco Wünsch der Wirtschaftsberatung „Prognos“ kritisiert, dass viele Grundversorger völlig überteuerte Preise von Neukunden forderten. Tatsächlich haben beispielsweise die Stadtwerke Pforzheim zur Jahreswende 1,07 Euro pro Kilowattstunde Strom von Neukunden in der Ersatzversorgung verlangt, die Bestandskunden aber mussten nur 32 Cent/kWh bezahlen.
Die Grundversorger versuchen, die extrem teuren Tarife mit den Rekordpreisen für die Beschaffung zusätzlich benötigter Energiemengen für Neukunden zu rechtfertigen und verweisen ihrerseits auf die unzureichende Kontrolle dubioser Billiganbieter. „Die freien Energiediscounter können anscheinend in Wild-West-Manier ihr Geschäft betreiben, und die Bundesnetzagentur unternimmt nichts, um die Energievertriebe besser zu beaufsichtigen“, kritisiert beispielsweise Detlef Fischer, Geschäftsführer des Verbandes der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft (VBEW).
(ots)
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